Es hätte so schön sein können: Ein eigenes europäisches Bezahlsystem, mit dem hiesige Bankhäuser der übermächtigen Konkurrenz aus Übersee, allen voran den Bezahlriesen Visa, Mastercard und PayPal, Paroli bieten können – Das war der Plan, mit dem die European Payments Initiative (EPI) 2020 ins Leben gerufen wurde. Federführend waren nicht nur die wichtigsten Grossbanken Europas, auch Regierungen und Zentralbanken gaben ihren Segen; schliesslich sollte so die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Finanzinstitute gestärkt werden. Doch inzwischen hat das ehrgeizige Vorhaben einige empfindliche Rückschläge einstecken müssen. Im Februar 2022 zog sich die Mehrheit der beteiligten Banken aus dem Projekt zurück. Zu den Gründen zählten unter anderem die enormen Investitionskosten und die grundsätzliche Ausrichtung: So sollten ursprünglich die unterschiedlichen Bezahlkarten der einzelnen europäischen Länder – in Deutschland also die als „EC-Karte“ bekannte girocard – von einer einheitlichen Karte abgelöst werden. Dieses Vorhaben ist mittlerweile vom Tisch – neu ist die abgespeckte Variante in Form der EPI-Wallet. In diesem Blogpost erfahren Sie, was die neue EPI-Wallet ist, wie sie funktionieren soll und was sie Verbrauchern und Händlern bringt.
Beteiligte am EPI-Projekt
Der Kreis der Beteiligten am EPI-Projekt ist mittlerweile von 31 auf 13 geschrumpft und umfasst neben den Finanzinstituten Banco Santander, Banque Fédérative du Crédit Mutuel, BNP Paribas, Crédit Agricole, Deutsche Bank, Deutscher Sparkassen- und Giroverband, Groupe BPCE, ING Bank, KBC Bank, La Banque Postale und Société Générale auch die Zahlungsdienstleister Nets und Worldline. Mit der Zahl der Beteiligten ist auch das Budget für EPI geschrumpft und die Pläne auf weniger ambitioniertes Niveau eingedampft. Statt einer Bezahlkarte für ganz Europa steht jetzt eine „digitale Wallet“ auf dem Programm, in der die existierenden Karten der einzelnen Banken hinterlegt werden sollen. Mit dieser App sollen Verbraucher künftig alle alltäglichen Zahlungen erledigen können – sei es an der Ladenklasse, im Onlineshop oder am Handy.
Damit das funktioniert, dürfen die EPI-Transaktionen allerdings nicht mit dem Schneckentempo einer Standard-Überweisung abgewickelt werden: Die Wallet sollen deshalb im Euro-Zahlungsverkehrsraum (SEPA) Echtzeitüberweisungen ermöglichen. Diese dürften auf dem Instant Credit Transfer-Verfahren (ICT Inst) basieren, den Anbieter wie giropay bereits heute umgesetzt haben, um den sekundenschnellen Geldversand zwischen Privatpersonen umzusetzen.
Wenn die Finanzinstitute mit der Umsetzung Ernst machen wollen, bleibt allerdings noch einiges zu tun. Denn derzeit bietet rund ein Drittel der EU-Zahlungsdienstleister überhaupt keine Echtzeitzahlungen an. Auch der Ausbau kommt eher schleppend voran. Ebenso muss für die Akzeptanz in der Bevölkerung wohl noch einiges getan werden: Da die meisten Bankhäuser für die Echtzeittransaktionen derzeit zusätzliche Gebühren verlangen, greifen die wenigsten Kunden im Alltag auf die Funktion zurück. Die EPI-Wallet könnte hier einigen Boden wieder gutmachen, indem sie diese Hemmnisse beseitigt.
Für Endkunden ist die Aussicht auf eine Bargeld-Alternative, die sich überall einsetzen lässt, durchaus attraktiv – jedenfalls dann, wenn genügend Händler bei der neuen Zahlmethode mitmachen. Umso wichtiger ist es also für die EPI-Initiative, diese mit ins Boot zu holen. Dabei kann die europäische Instant-Payment-Lösung durchaus einige Vorteile in die Waagschale werfen: Nach der Ankündigung von Mastercard, die Maestro-Funktionen der Girocard („EC-Karte“) ab Juli 2023 einzustellen und stattdessen Debitkarten auszugeben, hadern viele Händler mit der Umstellung. Ausschlaggebend sind die Gebühren, die die Kreditkartenunternehmen für ihre Debitkarten verlangen und die bis zu viermal höher sind als bei der altbekannten Girocard. Die EPI-Wallet könnte hier nicht nur mit geringeren Gebühren für mehr Wettbewerb sorgen und so den Händlern entgegenkommen; auch der Abgleich der Zahlungseingänge liesse sich mit dem Echtzeitsystem erheblich vereinfachen. In der derzeitigen Praxis hinkt der Bezahlvorgang dem technisch Möglichen noch hinterher, sodass durch zeitversetzte Buchungen und manuelle Prozesse unnötige Kosten entstehen.
Schub für Instant Payments
Und die Ausgangslage für eine Modernisierung ist gerade günstig. Der eher langsame Umbau des europäischen Überweisungssystems in Richtung Instant Payments dürfte in den kommenden Monaten an Tempo zulegen, schliesslich hat die EU-Kommission im Oktober 2022 einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorgelegt. Künftig sollen alle Kreditinstitute ihren Kunden zwingend das Instant Credit Transfer-Verfahren anbieten. Besonders pikant für die Banken: statt wie bisher Extra-Gebühren für den Geschwindigkeits-Boost zu kassieren, werden sie dazu verpflichtet, Echtzeittransaktionen zum gleichen Preis wie gewöhnliche Sepa-Überweisungen anzubieten – und die sind üblicherweise gratis. Bevor der Entwurf der Kommission in Kraft tritt, muss er noch in den EU-Mitgliedsstaaten sowie im EU-Parlament abgesegnet werden. Doch eins steht schon jetzt fest: wenn „ICT Inst“ damit zum neuen Standard wird, dürfte das die Innovationsfreude der Banken neu beleben und sie auch gegenüber der EPI-Wallet aufgeschlossener machen.
Bis es mit der elektronischen Bezahlalternative soweit ist, wird in jedem Fall noch etwas Zeit ins Land gehen – aber es gibt für EPI Hoffnung. Schliesslich überlegen mehrere aus der Initiative ausgetretene Banken, ob sie sich unter den veränderten Bedingungen der EPI wieder anschliessen sollen.